Nun die dramatische Wendung: Der Polizeieinsatz soll unverhältnismäßig gewesen sein. Neben dem Verdacht auf Körperverletzung mit Todesfolge werden nun Ermittlungen wegen Totschlags gegen den Maschinengewehrschützen erwogen.
An der Stelle in der Nordstadt, an der Mouhamed starb, erinnern Blumen, Kerzen und Fotografien an ihn
Foto: Andreas Wegener
Das geht aus einem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft Dortmund hervor, den das Innenministerium dem Innenausschuss des Landtags übermittelt hat. BILD verfügt über das vertrauliche Dokument.
Der Bericht erwähnt auch Ermittlungen gegen andere eingesetzte Polizisten. Wörtlich heißt es dort: „Die Ermittlungen, ob der Beamte, der das Maschinengewehr abgefeuert hat, des Totschlags verdächtigt wird, dauern an. Zudem seien Ermittlungen gegen alle weiteren Polizisten eingeleitet worden, die bei dem Einsatz Waffen oder Hilfsmittel gegen den jungen Mann eingesetzt hätten.
Seitdem wurde der junge Mann in seiner Heimat Senegal (Westafrika) beerdigt.
Foto: Aissatou Ndiaye
Gegen eine Polizistin, die den jungen Mann mit einem Reizstoff besprüht hat, wird im Ordnungsamt wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Ebenso gegen einen Beamten und einen Kollegen, die das Distance Electric Impuls Device (DEIG) gegen den Jungen einsetzten.
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Zudem würden Ermittlungen „gegen den verantwortlichen Polizeibeamten, der den Einsatz des Reizstoff-Sprühgeräts angeordnet und sonstige Anordnungen zum Ablauf des Einsatzes erteilt habe, wegen gefährlicher Körperverletzung im Dienstzimmer“ geführt.
Nun wird das Bundeskriminalamt in die Ermittlungen eingeschaltet. In dem Bericht heißt es: „Der Notruf des Betreuers und die Videoüberwachung der eingesetzten Beamten wurde sichergestellt und wird ausgewertet. Der Polizeibericht liegt vor. Der aufgezeichnete Notruf wird zur weiteren Klärung des genauen Ablaufs – insbesondere der zeitlichen Abfolge – vom Bundeskriminalamt ausgewertet.“
Aus Gründen der Neutralität ermittelt die Polizei Recklinghausen in dem Fall
Foto: Stephan Schütze
► Am 8. August wurde vom Jugendbetreuer ein Notruf an die Polizei abgesetzt. Die Sozialarbeiterin beschrieb, wie der junge Mann im Innenhof des St. Elisabeth aus Angst vor Selbstmordabsichten.
In dem Bericht heißt es: „Nach der Einreise nach Deutschland blieb der Verstorbene zunächst in Rheinland-Pfalz und zog vor etwa zwei Wochen nach Dortmund. Am Wochenende des 6. und 7. August 2022 wurde der Verstorbene wegen geäußerter Suizidabsicht in die LWL-Kliniken gebracht. Offenbar kam es zu keiner Krankenhauseinweisung: Er kehrte in die Wohngruppe der Jugendhilfeeinrichtung St. Elisabeth in der Nordstadt, Dortmund an diesem Wochenende.
Bei dem Einsatz setzten die Beamten zunächst Pfefferspray und dann zweimal einen Taser ein, weil der erste nicht richtig gezündet hatte. Was dann geschah, ist nun Teil der Ermittlungen.
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Weiter heißt es in dem Bericht: „Die bisherigen Ermittlungen haben ergeben, dass entgegen den bisher gemeldeten Fakten nicht elf, sondern insgesamt zwölf Polizisten, davon vier in Zivil, im Einsatz waren. Es wurde auch festgestellt, dass der Verstorbene nur von Zivilbeamten auf Deutsch und Spanisch angesprochen wurde. Der Verstorbene soll Französisch, Spanisch und eine afrikanische Sprache gesprochen haben. Die Ermittlungen haben nicht ergeben, dass der Verstorbene aufgefordert wurde, das Messer niederzulegen.”
Die Auswertung der Taser hatte ergeben, dass der Strom den jungen Mann wahrscheinlich nicht handlungsunfähig machte, sondern nur Schmerzen verursachte. „Der Verstorbene hielt das Messer weiterhin in einer Hand, wobei aufgrund verschiedener Zeugenaussagen noch nicht endgültig geklärt ist, wie genau er es gehalten hat. Ebenso muss noch endgültig festgestellt werden, ob und wie weit der Verstorbene bewegt wurde“, heißt es in dem Bericht.
Der tödliche Polizeieinsatz ereignete sich in der Sankt-Antonius-Kirche in Dortmund
Foto: Stephan Schütze
Ebenfalls neu: Der junge Mann wurde wahrscheinlich von vier Kugeln getroffen, nicht von fünf wie zunächst angenommen: Eine Kugel durchschlug einen Teil des Körpers und drang an anderer Stelle wieder in den Körper ein. Der fünfte Schuss verfehlte den Jungen.
Schusswaffen dürfen laut Gesetz nur gegen Personen eingesetzt werden, um eine unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben abzuwenden. Ob in der Notwehr oder in der Nothilfe. Außerdem dürfen sie nur eingesetzt werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos eingesetzt wurden oder eindeutig nicht erfolgsversprechend sind.
Daran zweifelt offenbar die Staatsanwaltschaft Dortmund. Was genau später gesagt wird, ist derzeit noch unklar, die Ermittlungen dauern noch an.
NRW-Innenminister Herbert Reul (70, CDU) zu BILD: „Dass die Ermittlungen nun auch vier weitere Beamte betreffen und sich der Tatverdächtige möglicherweise verschärfen könnte, schafft eine neue Situation. Das zeigt auch, dass wir hier sehr aufpassen. Staatsanwaltschaft und Polizei stellen klar, ich habe Vertrauen in den rechtsstaatlichen Prozess.”
NRW-Innenminister Herbert Reul (70, CDU)
Foto: Federico Gambarini / dpa
Reul betonte aber auch: „Gleichzeitig ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen – bisher war es ein Anfangsverdacht. Letztlich wird die Justiz entscheiden, ob die Polizei in der konkreten Situation richtig oder falsch gehandelt hat. Dieser Fall wird jetzt sorgfältig untersucht, gibt aber keinen Anlass zur Verallgemeinerung. Das Polizeipräsidium Dortmund hat gegen die beteiligten Beamten Disziplinarmaßnahmen eingeleitet.
Rückblick
Muhammad D. wurde am 8. August bei einem Polizeieinsatz im Hof einer Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund getötet. Nach ersten Ermittlungen hatte er zunächst damit gedroht, sich mit einem Messer umzubringen. Nachdem Pfefferspray und ein Taser versagt hatten, rannte der Teenager mit dem Messer auf die Beamten los. Einer der Beamten feuerte fünfmal mit seinem Maschinengewehr. Vier Kugeln trafen den 16-Jährigen.
Ein ähnlicher Fall im Ruhrgebiet
Vor kurzem wurde ein Oberkommissar in Bochum wegen Totschlags vor Gericht freigesprochen, weil er einen Angreifer mit vier Schüssen getötet hatte, der sich ihm mit einer leichteren, echt aussehenden Waffe drohend genähert hatte. Damals wurde getestet, ob weniger Schüsse ausreichen würden. Das Gericht kam jedoch zu dem Schluss, dass der Beamte erst dann aufhören konnte, wenn ihm klar wurde, dass der Angreifer zusammenbrach und sein Leben nicht mehr bedrohen konnte.
title: “Ein Polizist Hat Mit Einem Maschinengewehr Auf Mohammed 16 Geschossen Die Staatsanwaltschaft Ermittelt Gegen F Nf Polizisten Regional Klmat” ShowToc: true date: “2022-10-26” author: “Pearl Rhoads”
Nun die dramatische Wendung: Der Polizeieinsatz soll unverhältnismäßig gewesen sein. Neben dem Verdacht auf Körperverletzung mit Todesfolge werden nun Ermittlungen wegen Totschlags gegen den Maschinengewehrschützen erwogen.
An der Stelle in der Nordstadt, an der Mouhamed starb, erinnern Blumen, Kerzen und Fotografien an ihn
Foto: Andreas Wegener
Das geht aus einem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft Dortmund hervor, den das Innenministerium dem Innenausschuss des Landtags übermittelt hat. BILD verfügt über das vertrauliche Dokument.
Der Bericht erwähnt auch Ermittlungen gegen andere eingesetzte Polizisten. Wörtlich heißt es dort: „Die Ermittlungen, ob der Beamte, der das Maschinengewehr abgefeuert hat, des Totschlags verdächtigt wird, dauern an. Zudem seien Ermittlungen gegen alle weiteren Polizisten eingeleitet worden, die bei dem Einsatz Waffen oder Hilfsmittel gegen den jungen Mann eingesetzt hätten.
Seitdem wurde der junge Mann in seiner Heimat Senegal (Westafrika) beerdigt.
Foto: Aissatou Ndiaye
Gegen eine Polizistin, die den jungen Mann mit einem Reizstoff besprüht hat, wird im Ordnungsamt wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Ebenso gegen einen Beamten und einen Kollegen, die das Distance Electric Impuls Device (DEIG) gegen den Jungen einsetzten.
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Zudem würden Ermittlungen „gegen den verantwortlichen Polizeibeamten, der den Einsatz des Reizstoff-Sprühgeräts angeordnet und sonstige Anordnungen zum Ablauf des Einsatzes erteilt habe, wegen gefährlicher Körperverletzung im Dienstzimmer“ geführt.
Nun wird das Bundeskriminalamt in die Ermittlungen eingeschaltet. In dem Bericht heißt es: „Der Notruf des Betreuers und die Videoüberwachung der eingesetzten Beamten wurde sichergestellt und wird ausgewertet. Der Polizeibericht liegt vor. Der aufgezeichnete Notruf wird zur weiteren Klärung des genauen Ablaufs – insbesondere der zeitlichen Abfolge – vom Bundeskriminalamt ausgewertet.“
Aus Gründen der Neutralität ermittelt die Polizei Recklinghausen in dem Fall
Foto: Stephan Schütze
► Am 8. August wurde vom Jugendbetreuer ein Notruf an die Polizei abgesetzt. Die Sozialarbeiterin beschrieb, wie der junge Mann im Innenhof des St. Elisabeth aus Angst vor Selbstmordabsichten.
In dem Bericht heißt es: „Nach der Einreise nach Deutschland blieb der Verstorbene zunächst in Rheinland-Pfalz und zog vor etwa zwei Wochen nach Dortmund. Am Wochenende des 6. und 7. August 2022 wurde der Verstorbene wegen geäußerter Suizidabsicht in die LWL-Kliniken gebracht. Offenbar kam es zu keiner Krankenhauseinweisung: Er kehrte in die Wohngruppe der Jugendhilfeeinrichtung St. Elisabeth in der Nordstadt, Dortmund an diesem Wochenende.
Bei dem Einsatz setzten die Beamten zunächst Pfefferspray und dann zweimal einen Taser ein, weil der erste nicht richtig gezündet hatte. Was dann geschah, ist nun Teil der Ermittlungen.
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Weiter heißt es in dem Bericht: „Die bisherigen Ermittlungen haben ergeben, dass entgegen den bisher gemeldeten Fakten nicht elf, sondern insgesamt zwölf Polizisten, davon vier in Zivil, im Einsatz waren. Es wurde auch festgestellt, dass der Verstorbene nur von Zivilbeamten auf Deutsch und Spanisch angesprochen wurde. Der Verstorbene soll Französisch, Spanisch und eine afrikanische Sprache gesprochen haben. Die Ermittlungen haben nicht ergeben, dass der Verstorbene aufgefordert wurde, das Messer niederzulegen.”
Die Auswertung der Taser hatte ergeben, dass der Strom den jungen Mann wahrscheinlich nicht handlungsunfähig machte, sondern nur Schmerzen verursachte. „Der Verstorbene hielt das Messer weiterhin in einer Hand, wobei aufgrund verschiedener Zeugenaussagen noch nicht endgültig geklärt ist, wie genau er es gehalten hat. Ebenso muss noch endgültig festgestellt werden, ob und wie weit der Verstorbene bewegt wurde“, heißt es in dem Bericht.
Der tödliche Polizeieinsatz ereignete sich in der Sankt-Antonius-Kirche in Dortmund
Foto: Stephan Schütze
Ebenfalls neu: Der junge Mann wurde wahrscheinlich von vier Kugeln getroffen, nicht von fünf wie zunächst angenommen: Eine Kugel durchschlug einen Teil des Körpers und drang an anderer Stelle wieder in den Körper ein. Der fünfte Schuss verfehlte den Jungen.
Schusswaffen dürfen laut Gesetz nur gegen Personen eingesetzt werden, um eine unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben abzuwenden. Ob in der Notwehr oder in der Nothilfe. Außerdem dürfen sie nur eingesetzt werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos eingesetzt wurden oder eindeutig nicht erfolgsversprechend sind.
Daran zweifelt offenbar die Staatsanwaltschaft Dortmund. Was genau später gesagt wird, ist derzeit noch unklar, die Ermittlungen dauern noch an.
NRW-Innenminister Herbert Reul (70, CDU) zu BILD: „Dass die Ermittlungen nun auch vier weitere Beamte betreffen und sich der Tatverdächtige möglicherweise verschärfen könnte, schafft eine neue Situation. Das zeigt auch, dass wir hier sehr aufpassen. Staatsanwaltschaft und Polizei stellen klar, ich habe Vertrauen in den rechtsstaatlichen Prozess.”
NRW-Innenminister Herbert Reul (70, CDU)
Foto: Federico Gambarini / dpa
Reul betonte aber auch: „Gleichzeitig ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen – bisher war es ein Anfangsverdacht. Letztlich wird die Justiz entscheiden, ob die Polizei in der konkreten Situation richtig oder falsch gehandelt hat. Dieser Fall wird jetzt sorgfältig untersucht, gibt aber keinen Anlass zur Verallgemeinerung. Das Polizeipräsidium Dortmund hat gegen die beteiligten Beamten Disziplinarmaßnahmen eingeleitet.
Rückblick
Muhammad D. wurde am 8. August bei einem Polizeieinsatz im Hof einer Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund getötet. Nach ersten Ermittlungen hatte er zunächst damit gedroht, sich mit einem Messer umzubringen. Nachdem Pfefferspray und ein Taser versagt hatten, rannte der Teenager mit dem Messer auf die Beamten los. Einer der Beamten feuerte fünfmal mit seinem Maschinengewehr. Vier Kugeln trafen den 16-Jährigen.
Ein ähnlicher Fall im Ruhrgebiet
Vor kurzem wurde ein Oberkommissar in Bochum wegen Totschlags vor Gericht freigesprochen, weil er einen Angreifer mit vier Schüssen getötet hatte, der sich ihm mit einer leichteren, echt aussehenden Waffe drohend genähert hatte. Damals wurde getestet, ob weniger Schüsse ausreichen würden. Das Gericht kam jedoch zu dem Schluss, dass der Beamte erst dann aufhören konnte, wenn ihm klar wurde, dass der Angreifer zusammenbrach und sein Leben nicht mehr bedrohen konnte.